„Silke Eberhard is by far one of the most brilliant yet technically challenging of all modern jazz composers .. „
The Art Music Lounge, Lynn Bailey, 29th December 2023
Chamber Works:
Jazzfest Berlin 2023:
Gleich im ersten Takt winkt Henry Threadgill wieder ab: „Pianissimo“, sagt er. José Davila, der Tubist, hat nicht verstanden, hält die Hand ans Ohr, Threadgill wiederholt die Anweisung und hebt die Stimme dabei um einen halben Dezibel, als widerstrebe es ihm, laut „pianissimo“ zu sagen. Dann geht die Probe weiter.
Es ist der Tag vor der Uraufführung von „Simply Existing Surface“, einer Auftragskomposition für das Jazzfest Berlin, und noch sitzt nicht alles richtig. Kein Wunder, denn zwei eigenständige Bands müssen erst zusammenfinden: Threadgills eigenes Quintett Zooid und Potsa Lotsa XL, das zehnköpfige Ensemble der Berliner Saxophonistin Silke Eberhard.
(…)
Die komplexe Komposition zum Schweben bringen
Viel erschreckender als das System akkumulierender Wiederholungen sind die Taktarten, die auf der Partitur verzeichnet sind: Praktisch jeder Takt steht in einer anderen Taktart. Deswegen sitzt vor dem Ensemble auch die Dirigentin Silke Lange. Mit viel Schwung in den Schultern führt sie die Musiker durch das Taktdickicht.
Bleiben die rätselhaften Zahlenkolonnen, die anstelle der üblichen Akkordfolgen über den Takten notiert sind. Sie stehen für Intervallfolgen, erfährt man, und bilden das harmonische Grundgerüst der Komposition. „2+253-7“ heißt: Sekunde, Sekunde, Quinte, Terz, Septime. Plus und Minus stehen für großes und kleines Intervall. Alles sehr kompliziert also? Paradoxerweise hört man der Musik den kompositorischen Aufwand nicht im Geringsten an. Vielmehr scheint es so, als sei genau dies das Ziel der Partitur, das Ziel des Komponisten: die Dinge einfach erscheinen zu lassen, die Musik zum Schweben zu bringen, den Musikern Flügel zu verleihen.
Die Musiker beginnen zu fliegen
Es erfüllt sich am Samstagabend, als „Simply Existing Surface“ vor vollem Haus zur Aufführung kommt. Die Musiker wachsen über sich hinaus, jeder, scheint es, spielt das Solo seines Lebens. Als Schlagzeuger Kay Lübke seines beendet hat, kann selbst sein Schlagzeugkollege von Zooid, Elliot Humberto Kavee, nicht an sich halten und applaudiert gemeinsam mit dem Publikum. Die Musik vollzieht sich ganz im Jetzt. Es gibt keine angestrengten Reverenzen an die Jazzgeschichte, im Gegenteil ist die Musik ganz nach vorne gerichtet. Am Ende, meint man, beginnen die Musiker, wirklich zu fliegen. Und mit einem Schlag ist das Stück vorbei. Man soll ja aufhören, wenn es am schönsten ist. FAZ, Tobias Lehmkuhl, November 7, 2023
***
Höhepunkt des Festivals (….) / Threadgill gehört zur ersten Generation des Schwarzen Musiker*innen-Kollektivs AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians) in Chicago, deren Klangsprache alle nachfolgenden Musiker*innen-Generationen beeinflusst hat. Threadgill brachte seine mit Spannung erwartete Auftragskomposition „Simply Existing Surface“ auf die Bühne, die er für die Kollaboration seiner Formation „Zooid“ mit dem Ensemble Potsa Lotsa XL der Berliner Altsaxofonistin Silke Eberhard entwickelt hatte. Die Suite für 15 Musiker*innen bestand aus einzelnen, variabel verschiebbaren Modulen für einzelne Instrumentengruppen und Solisten.
Threadgill, der selbst Altsaxofon und Flöte spielt, hatte sich zwar im Vorfeld mit Silke Lange eine Dirigentin gewünscht, um sich auf sein eigenes Spiel konzentrieren zu können, übernahm dann jedoch spontan selbst die Regie und dirigierte von seinem Stuhl aus. In den ersten zehn Minuten noch vorsichtig mit der Komposition umgehend, wurde das Zusammenspiel dann flüssiger. Vor allem in den Soli konnten Silke Eberhard, aber auch der Trompeter Nikolaus Neuser und der Klarinettist Jürgen Kupke eigene Klangmodule bilden, die sich wie einzelne Zellen aus einem Organismus herauslösten und wieder integrierten.
Ein hochkomplex angelegtes Werk, das auch mit Klang- und Lautstärketexturen operierte, in dem das Ensemble über die 60 Minuten der Aufführung, die live im Radio übertragen wurde, immer mehr zur Einheit wurde. Das Werk zeigte Threadgill als den großen Komponisten, dessen Würdigung in Europa längst überfällig war. TAZ, by Maxi Broecking, November 8, 2023
**** GAYA:
»On est ici dans la rencontre entre deux univers…une véritable complicité harmonique et humaine.«
Jazz Mania, by Eric Therer, May, 2022
»rings with enigmatic melodies, provocative harmonies and bursts of street-vibe hustle.«
The Guardian, John Fordham, March 18, 2022
»Ein Album, das klingt wie ›the real thing‹. Die Berliner Saxofonistin Silke Eberhard hat mit einer kongenialen Formation ein starkes Album vorgelegt.«
dpa, May 15, 2020
»This is an absolutely superb album in every way: conception, scoring, execution and solos. I simply cannot praise it highly enough.«
Artmusiclounge, Lynn René Bayley, 2020
»Das originelle Eric-Dolphy-Projekt der Berliner Gruppe Potsa Lotsa gehörte zu den Highlights des Jazzfests (Berlin).« FONO FORUM, Mario Vogt, Januar 2015
»Keine Hochzeit und ein Todestag — Den arbeitsreichsten Weg der Dolphy-Verehrung ging die Altsaxophonistin und Bassklarinettistin Silke Eberhard. Sie hatte nämlich ein unvollendetes Werk Dolphys entdeckt — die Love Suite […]. Krause Choräle, fahle Kontrapunkte, Geräusche, vielschichtige Klang- und Struktur-Überlagerungen, klare Jazzphrasierungen, die vom Himmel fielen, wenn man sich ihrer gerade entwöhnt hatte, und viel (nach eigener Aussage nie bewusst gesuchte) Neue Musik des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts waren das Material für dieses denkwürdige Ereignis.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Ulrich Olshausen, 6.11.14
»[…] konnte Silke Eberhard mit Dolphys posthumem Kammermusikwerk Love Suite punkten: In der Bearbeitung für Bläser und Elektronik ließ die Klarinettistin notierte Struktur und energiereiche Improvisation in geistreiche Dialoge eintreten.« Der Standard, Andreas Felber, 4.11.14
»Nun spielt sie, die Nachgeborene, das Altsaxofon und die Bassklarinette, jenes Instrument, das Dolphy im Jazz etablierte. Ihm und ihr zuhörend, fühlt man sich zurückversetzt in eine Zukunft, die eine Zeit des Aufbruchs sein wird.« DIE ZEIT, Stefan Hentz, 1.10.14
»24 Minuten dauert die wiedergefundene Love Suite in Silke Eberhards Version, bietet Kammermusikalisches neben Free Jazz, fesselnde Sounds, effektvollen Witz, fantasievolle Soli, packende Duette und Trios. […] Die Entdeckungen gehen weiter.« Jazzthing, Hans-Jürgen Schaal, Nov. 2014
»Potsa Lotsa gelingt der zeitgenössische Widerhall von Dolphys doppeltem Wesen als Komponist und Interpret ohne einen Anflug von Musealisierung, dafür mit gehöriger Spielversessenheit.« TAZ, Franziska Buhre, 25.6.14
»European Scene: German Saxophonist reimagenes Eric Dolphy« DownBeat Magazine, Peter Margasak, December 2010
»Indeed, collective improvisation was the common denominator for many of the German musicians, especially during Silke Eberhard and Potsa Lotsa`s rousing send-up to Dolphy. A horn quartet led by alto saxophonist Eberhard and featuring tenor saxophonist Patrick Braun, trumpeter Nikolaus Neuser and trombonist Gerhard Gschlössl, Potsa Lotsa brought sparkling imagination, collectice improvisational zing and humor to the proceeding as they delved into Dolphy classics such as Hat and Beard, Straight up and Down and Burning Spear with no one playing bass clarinet or flute. A reason why the group´s performance was so magical was that none of the members seemed intent on playing Dolphy but rather playing his music.« DownBeat Magazine, John Murph, December 2009
»Eliminating expected rhythm section incursions, Swiss alto saxophonist Eberhard’s Potsa Lotsa, had saluted Mingus’ favorite saxophonist — Dolphy — in the same location the day previously using only horns — her own alto saxophone, Patrick Braun’s tenor saxophone, Nikolaus Neuser’s trumpet and Gerhard Gschlössl’s trombone. Rather than being limited by the instrumentation, this layered polyphony added new tinctures to Dolphy’s best-known music, which sadly had been created in less than half a decade.
The compositions were re-harmonized canon-like with trumpet grace notes at the top and Braun’s deeper sax tones providing the ostinato glue holding together the undulating improvisations. Distinctive touches included Gschlössl adding downcast moans to a reading of Out to Lunch, which otherwise bounced along on rubber-mute fanning from the brass; and blustery vibrations from the saxophones in broken octaves, as they worked through pieces from Dolphy’s storied Five Spot-recorded LPs.« JAZZWORD, Ken Waxman